Amanshausers Welt: 52 Australien
Bei Sonne legt Jimmy seine 500 Kleidungsstücke zum trocknen auf den Felsen.
Jimmy wohnt an der ersten Adresse von Sydney: am Bondi Beach, der beliebten Surfer-Bucht. Hinter seinem Felsvorsprung werden 2-Zimmer-Apartments für 1,5 Millionen Euro verkauft. Er selbst zahlt gar nichts. Hat kein fließendes Wasser, außer dem Meer. Als Dach über dem Kopf dient ihm eine Plastikplane. Dennoch besitzt er mehr Garderobe als die meisten seiner Nachbarn. Seine Höhle ist mit Second-Hand-Gewand ausgepolstert: „Wenn es kalt wird, igle ich mich ein.“
Im Sommer trägt er Shorts, darüber Hemd und Gilet, manchmal auch nur den ausgemergelten, braun gebrannten Oberkörper. Jimmy ist ein „bum“, der sich selbst als „poet“ in Allen Ginsbergs Tradition sieht. Denn mit seiner Gebrauchslyrik verdient er sporadisch Geld. „Hochzeit, Geburtstag, Jubiläum, mir fällt immer was ein.“
Der Wanderweg führt an seinem Felsen vorbei. Sprechen ihn Passanten an, lädt Jimmy sie auf sein Sonnendeck. Er hat einen Fauteuil aufgestellt. Manche Leute haben etwas Angst vor Jimmy: sein Vollbart, sein wettergegerbtes Gesicht. Gelegentlich umarmt er ein Handtuch mit Abbild einer Metal-Braut und ruft: „My girl friend!“ Jimmy ist anders. Er trägt keine Ray Ban wie die Makler, die Bondi Beach versilbern und deren Aufmachung seltsamerweise niemanden in Schrecken versetzt.
Heute hat Jimmy Arbeit. Melanie ist gekommen. Trauriger Anlass: Ihr Lover Anthony hat sich die Pulsadern aufgeschlitzt, sie will ein Gedicht für das Begräbnis. Einfühlsam fragt Jimmy, wer und wie Anthony war. Er kritzelt eine passende Ode in seinen Notizblock und trägt sie vor. Das Ergebnis verblüfft Melanie: „Wunderbar! Als hätte Jimmy ihn gekannt!“
Legendär ist Jimmys Gastfreundschaft: Er bietet zum Beispiel Kaffee mit Bitterschokolade an. Häufig komme es allerdings vor, wundert er sich, dass Gäste seine Gemüsesuppe nicht kosten wollen. „Dabei ist sie ORGANIC, keine Schadstoffe! Ich baue hier Spinat und Bohnen an!“
Früher arbeitete Jimmy in der Metallindu-strie, doch sein Job wurde beseitigt. Er zog ein Kind auf, aber „die Frau wollte eines Tages nicht mehr.“ Seit sieben Jahren wohnt er an diesem Felsen. Und was tut er im Winter? „Sometimes fucking freezin‘. Man darf nicht gegen die Elemente kämpfen, man geht möglichst mit ihnen. Vergiss nicht, die menschliche Haut ist waterproof.“
Die Geschichte hat kein Happy End. Jimmys Existenz stört die öffentliche Ruhe. Jimmy muss verschwinden. Seine Gegner machen jetzt ernst. Gestern übergab ihm ein Vertreter des Magistrats persönlich den Gerichtsbeschluss: In sieben Tagen muss Jimmy seinen Platz räumen. Seitdem besuchen ihn Nachbarn, Freunde, alle wollen helfen. Jimmy hat noch keine Ahnung, wo er hingehen wird. Denn Jimmy redet nicht über die Zukunft. Er deutet auf seine Besitztümer: „Ich weiß nicht, wohin ich das alles räumen soll.“ Jimmy blickt nachdenklich aufs Meer. „Nächs-te Woche hier wegziehen, das kommt mir momentan ziemlich unrealistisch vor.“
Quelle: http://www.diepresse.com/home/leben/rei…=/home/index.do