Der Backpackers Carmarket von Sydney
Von Peer Fischer
30. Mai 2007
In einer Seitenstraße von Sydneys Rotlichtbezirk Kings Cross verbirgt sich im Kellergeschoss eines verwahrlosten Parkhauses ein wunderlicher Automarkt. Der Backpackers Carmarket ist für die einen die Hölle, ein Ort der Angst und des Frustes. Für die anderen ist er ein Platz für gute Geschäfte mit der Not der Weiterreisenden. Und Außenstehenden bietet er einen tiefen Einblick in den Mikrokosmos moderner Rucksackreisender.
Australien hofiert wie kaum ein anderes Land diese Gruppe von Reisenden. Der Backpacker, auch Traveller genannt, trifft im fünften Kontinent auf eine eigens für ihn geschaffene Tourismusstruktur von Billigherbergen bis zu günstigen Bars. Das australische "Work and Travel"-Visum ermöglicht ihm sogar reisebegleitend die Auffrischung seiner finanziellen Ressourcen. Es ist daher kaum überraschend, dass die Backpacker selten kürzer als sechs Monate in Australien unterwegs sind. Und nur ein paar Gehwegminuten von der Bahnstation Kings Cross entfernt befindet sich der erste Anlaufpunkt für die ständig wachsende Zahl derjenigen, die Australien mit dem eigenen Fahrzeug bereisen wollen.
Roter Staub in jeder Ritze
Wer das schmuddelige Kassenhäuschen im Erdgeschoss des Parkhauses an der Ward Avenue passiert und mit dem kleinen Aufzug zwei Ebenen in die Tiefe fährt, dem bietet sich ein bizarres Bild: In der düsteren Parkebene warten im Licht einiger spärlicher Neonleuchten Dutzende Autos bald abreisender Traveller auf ihre Käufer. Ordentlich reihen sich links der Parkgasse die gewöhnlichen Pkw aneinander, meist Kombis vom Typ Ford Falcon, der wegen seiner wüstentauglichen Robustheit und der großzügigen Liegefläche im Fond geschätzt wird. Zur Rechten präsentieren sich massige Geländewagen und kleinere Wohnmobile, sogenannte Campervans. Die Wagen haben von ihren langen Reisen Narben davongetragen, die Flanken sind zerkratzt, Motorhauben zerbeult, Windschutzscheiben haben Risse, und roter Staub sitzt tief in allen Ritzen und Fugen. Neben den Gefährten locken allerlei Dreingaben: Campingstühle und Klapptische chinesischer Herkunft, blaue Gaskocher, buntes Plastikgeschirr, Luftmatratzen, Grillutensilien und so manches Surfbrett. Inmitten des wunderlichen Warenangebots sitzen die jungen Verkäufer aus aller Welt und schlagen die Zeit tot.
Während man geruhsam die Reihen abschreitet, bleibt der Blick an einem wie ein Zebra bemalten Urlaubsgefährt hängen. Zwei Autos weiter verspricht ein umgebauter Leichenwagen makabres Campingvergnügen. Man spürt die neugierigen Blicke der jungen Backpacker im Rücken, wird taxiert. Zur frühen Stunde ist es noch ruhig auf dem Flohmarkt der Automobile. Ein Traveller in Shorts und Badeschlappen ergreift endlich die Initiative und weist freundlich auf das weiße Gefährt hinter ihm: "Are you looking for a car?" Sein süddeutscher Akzent ist nicht zu überhören. Während man verneinend lächelt, überkommt einem sogleich das Mitleid: Wie muss es sein, hier unten im finsteren Parkhausverließ zu hocken, während an der Oberfläche das sonnendurchflutete Sydney wartet?
Die Stunde der Schnäppchenjäger
In der Nebensaison ist die Verzweiflung der jungen Verkäufer besonders groß. Am Vortag hatte lediglich eine Handvoll potentieller Käufer den Weg in die Tiefen des Parkhauses gefunden. In der australischen Hauptreisezeit im Dezember und Januar kann man seinen Wagen mit sattem Gewinn verkaufen, jetzt aber bleibt man fast auf seiner Kiste sitzen. Die Tage in der Unterwelt ziehen sich dann hin wie die Bahnfahrt von Sydney nach Perth. So wird jeder mögliche Interessent angelächelt, das Automobil nachgeputzt, der Verkaufspreis immer wieder nach unten korrigiert. Schnell bemerkt man, dass die Verkaufstaktiken der reisenden Verkäufer nationalen Klischees folgen: Während die britischen Traveller auf ihr loses Verkaufsmundwerk und den Vorteil der englischen Muttersprache vertrauen, fällt die akribische Ausstellung des Warenangebots bei den deutschen Globetrottern auf. Zwei unrasierte israelische Backpacker führen gestenreich Verkaufsverhandlungen über einen staubigen Geländewagen. Ein französisches Pärchen, das sich und seinen gelben Campervan hinter einem Betonpfeiler zu verstecken scheint, fühlt sich in der Rolle des fliegenden Autohändlers noch sichtlich unwohl; schüchtern nicken sie den vorbeischlendernden Interssenten zu.
Doch so unterschiedlich jeder hier auch ist: Die Autoverkäufer sind wegen ihres nahenden Abreisedatums eine Schicksalsgemeinschaft - und eine leichte Beute für Schnäppchenjäger. An manchen Tagen kommen sie dann, spät am Nachmittag stürzen sie sich im dunklen Parkhaus wie ein Raubtier auf ihre verzweifelten Opfer in höchster Zeitnot. Meist sind es professionelle Autohändler, die in der Tiefe ein gutes Geschäft wittern. So ist am Ende die Angst des finanziellen Totalverlustes allen gemein, denn der letzte Urlaubstag schwebt wie ein Dämon über jedem Einzelnen.
Billig kann sehr teuer werden
Für Karl-Heinz und Steffen aus Deutschland ist es schon der elfte Tag in der sonnenlosen Hölle. Die Hoffnung, ihren Ford Falcon, Baujahr 1989, möglichst rasch abzustoßen, ist bodenlosem Frust gewichen. Notgedrungen haben die beiden inzwischen ihre Verkaufsstrategie ausgebaut: Von der Decke baumeln Papierfähnchen mit packenden Anpreisungen wie "Mega Deal" und "Great Condition". Ihr Wagen hatte sie in vier Monaten von Melbourne über Tasmanien, Sydney und die Ostküste bis nach Darwin und Alice Springs befördert. Ein paar tausend Dollar waren in diverse Reparaturen ihres Vehikels geflossen, die sich nun im Verkaufspreis niederschlagen. Diesen Fehler machen viele Backpacker. Sie wollen nur das billigste Auto und ignorieren dabei den Allgemeinzustand ihres künftigen Reisegefährtes, das sie über mehrere tausend Kilometer durch das menschenleere Outback bei nicht selten glühend heißen Temperaturen bringen soll. Wer im Nirgendwo hängenbleibt, zahlt allein für die Anfahrt eines Abschleppwagens horrende Summen.
Noch am Vortag war ein älterer, baugleicher Ford Station Wagon verkauft worden - für die beiden Deutschen ein Hoffungsschimmer in der bleiernen Verkaufszeit. Nicht selten müssen die Verkäufer allerdings mitansehen, wie einer der Nachbarn die Nerven verliert und dasselbe Modell wie das eigene weit unter Wert verkauft. Doch obwohl auf dem Markt große Konkurrenz herrscht, gelten hier eherne Gesetze: Es ist eine Sache der Ehre, nach einem erfolgreichen Verkauf die Frustration der verbliebenen Verkäufer mit einer Kiste Victoria Bitter zu mildern.
Deutsche Tugenden
Der Schotte Don Macmillan ist Herrscher über den unterirdischen Automarkt der Rucksackreisenden. Er wacht über den strengen und komplizierten Vorgang des Autoverkaufs in Australien und berät sowohl Käufer als auch Verkäufer. Das gegenseitige Vertrauen in der Gemeinde der Backpacker ist der Schlüssel und Antrieb für seinen ungewöhnlichen Markt, der Verkauf von Traveller-Autos wird inzwischen größtenteils über ihn abgewickelt. Im Karussell australischer Reisepfade kehrt so manches Reisevehikel wieder zum Carmarket zurück. Doch das Vertrauen der Gemeinde endet an nationalen Grenzen, denn viele Reisende kaufen ihr Reisegefährt am liebsten von ihren Landsleuten. Eine Ausnahme aber gibt es. "Die Briten", sagt Macmillian, "misstrauen ihren Landsleuten und kaufen bei den anderen." Der Logik nationaler Vorurteile folgend, scheint die Reisegemeinde gerne ihre Gefährte von Deutschen zu erwerben - der globale Ruf deutscher Tugenden dringt sogar bis zum finsteren Markt der Gebrauchtwagen vor. Macmillan erzählt dann noch die Geschichte eines Deutschen, der, stur und beseelt von seinem Verkaufspreis, einst geschlagene acht Wochen hier verbrachte, bis das Gefährt endlich den Besitzer wechselte. "Am längsten sitzen hier diejenigen, die ein falsches Auto, einen falschen Preis oder einfach nur eine falsche Einstellung haben", sagt Macmillan.
Die grauen Betonwände des Automarktes sprechen wie Stimmen aus der Vergangenheit den Zurückgebliebenen Trost zu. Übersät mit Botschaften abgereister Verkäufer, erzählen sie mal aufmunternd, mal poetisch, mal dramatisch und dann wieder wütend die Geschichten früherer Transaktionen, die doch fast immer ein gutes Ende fanden. So ist von der geliebten "Kylie" die Rede, die mehr als sechs Monate lang treuen Dienst tat und in nur drei Tagen mit Gewinn verkauft werden konnte. "Bastard" jedoch, ein Holden, hielt seine unglücklichen Besitzer achtzehn Tage lang in unterirdischer Gefangenschaft. Der anfällige "Endeavor" kostete seine Besitzer ein halbes Vermögen an Reparaturen und wurde dann noch für weit weniger als den Kaufpreis veräußert. Auch manche Erleuchtung scheint man dem dunklen Verließ zu verdanken. Ein junger Reisender kommt nach sieben Tagen Verkaufshaft zu dem Schluss: "Die Länge des Schlafes verhält sich ab einem bestimmten Punkt antiproportional zum Erholungsgrad."
Backpackers Carmarket, Ecke Ward Avenue und Elizabeth Bay Road, Kings Cross, Sydney; E-Mail: info@carmarket.com.au, Internet: http://www.carmarket. com.au.