Die Torres Strait – Nordaustraliens offenes Fenster nach Melanesien

  • Die Torres Strait – Nordaustraliens offenes Fenster nach Melanesien

    Das Einwanderungsland Australien ist zwar ein farbiges multikulturelles Mosaik. Doch geht dem Inselkontinent ein direkter Kontakt zu anderen Kulturen, wie ihn Grenzgebiete vermitteln, ab. Im abgelegenen Norden des Landes aber gibt es eine faszinierende Ausnahme. ...

    Grenzen sind einfach zu erkennen in Australien: Sie sind dort, wo das Land aufhört und das Wasser beginnt. Oder dort, wo das Pult steht im Flughafen mit dem Beamten der Passkontrolle. Was dem Land hingegen weitgehend abgeht, ist die Art des Kontaktes mit dem Fremden, wie ihn Grenzgebiete vermitteln: das faszinierende Wechselspiel von Kulturen, die über nationale Grenzen hinaus aufeinandertreffen und sich vermischen. Natürlich hat Australien als Einwanderungsland schillernde Multikulturalität zu bieten mit Bevölkerungsgruppen verschiedenster Herkunft, und für eine Weltreise im Kleinformat reicht die S-Bahn Sydneys oder Melbournes. Doch gleichzeitig ist das Land uniform: überall die gleichen Ladenketten in den Einkaufszentren, die gleiche Suburbia ausserhalb des Geschäftszentrums.

    An einem Ort ist das aber anders. An der Nordostspitze des Kontinents, dem nördlichen Zipfel der Cape York Peninsula, öffnet sich ein Fenster zur Kultur und Lebensform Melanesiens. Als auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit der Meeresspiegel rund hundert Meter tiefer lag, bestand eine Landbrücke zwischen Australien und seinem heutigen nördlichen Nachbarn Papua-Neuguinea. Inzwischen erstrecken sich dort zwar die türkisblauen Wasser der Torres Strait, benannt nach einem portugiesischen Seefahrer, der 1605 mit einer spanischen Expedition von Peru in den Südpazifik fuhr und vielleicht als erster Europäer die Nordspitze Australiens sah. Geblieben ist aber die überwiegend melanesisch- und polynesisch-stämmige Bevölkerung, auch wenn die knapp 300 Inseln der Torres Strait inzwischen politisch zu Australien gehören. Auch auf dem Festland, in Bamaga und dem Nachbarort Seisia, sind substanzielle Gemeinschaften von «Torres Strait Islanders» angesiedelt.

    Die britisch-koloniale Gesellschaft erreichte die Torres-Strait-Region in den 1860er Jahren, rund hundert Jahre nachdem Captain Cook die australische Ostküste zu britischem Territorium erklärt hatte, und zwar von einem Torres-Strait-Inselchen aus, das heute passenderweise Possession Island heisst. Bedeutung erlangte die Region im Zweiten Weltkrieg, als Militärbasen und Flugfelder zur Verteidigung gegen die Japaner errichtet wurden. Noch heute sind die kleinen Flughäfen von Bamaga und Horn Island das Tor zur Aussenwelt.

    Rest-Australien ist weit weg. Nach Cairns, in die nächstgelegene grössere Stadt, sind es von Bamaga aus rund 1000 Kilometer über eine ruppige Schotterpiste, die nur in der Trockenzeit befahrbar ist. In der Regenzeit schwellen die Flüsse so an, dass sie nicht mehr zu passieren sind. Der Jardine River südlich von Bamaga wird so mächtig, dass der Nordzipfel Australiens zu einer virtuellen Insel wird. Die Versorgung geschieht ganzjährig mit Schiffen, die von Süden her den kleinen Hafen Seisia anlaufen.
    Ein eigenes Völklein

    Diese Isolation hat zur Entstehung einer interessanten Gemeinschaft aus Torres-Strait-Insulanern, Aborigines und zugewanderten Weissen geführt, die hier recht harmonisch zusammenleben. Versatzstücke aus dem australischen Alltag – die Schule, das Gemeindeamt, der Getränkemarkt – kommen vertraut vor, dennoch ist die Atmosphäre fremdländisch geprägt. Die fidschianische Musik, die aus dem Lautsprecher des Souvenirladens klingt, passt zur tropisch-feuchten Hitze und den Leuten, die im kleinen Dorfzentrum Bamagas gemächlich ihren Geschäften nachgehen. Die melanesische Inselwelt lässt grüssen, und Papua-Neuguinea scheint zum Greifen nah.

    Die Nähe ist mehr als nur geografisch und kulturell. Das lokale Wochenblatt «Torres News» berichtet ausführlich und voller Emotion über die Rückschaffung von fünf in Australien gelandeten Flüchtlingen aus dem indonesischen Westpapua nach Papua-Neuguinea; eine Geschichte, über die in australischen Mainstream-Medien nichts zu vernehmen war. Dabei scheint der Grundton durch, dass Australien die fünf hätte aufnehmen sollen. Die Insulaner, so spürt man, betrachten die Ausgeschafften fast als ihre Stammesverwandten.
    «Sea People»

    Die Torres-Strait-Insulaner sind ein eigenständiger Zweig der australischen Urbevölkerung und werden von den Aborigines unterschieden. Das hat nicht nur mit ihrer melanesisch-polynesischen Abstammung zu tun, gegenüber der südostasiatischen Herkunft der Aborigines. Sondern sie sind auch, wie ein Einheimischer es ausdrückt, «sea people», dem Meer zugewandt, und definieren sich dafür im Vergleich zu den Aborigines weniger durch das Land, auf dem sie leben.

    Die eigenwillige Welt der Nordspitze von Cape York und der Torres-Strait-Inseln übt eine eigentümliche Anziehungskraft aus auf weisse Australier, die ein exotisches Abenteuer suchen, ohne dabei ihr Land verlassen zu wollen. Weil Bamaga so schwer zu erreichen ist, gibt es hier noch die grosse Freiheit. Dabei sei es in den letzten Jahren viel komfortabler geworden, sagt ein Zugewanderter, im Supermarkt gebe es inzwischen fast alles zu kaufen. Dem verwöhnten Städter scheint diese Einschätzung beim Blick auf das Angebot etwas allzu optimistisch – doch hier ist eine andere Welt.

    Quelle: http://www.nzz.ch

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