Hallo Claire,
wir sind nun seit gut vier Monaten in Perth und unsere Kinder haben die längsten Ferien ihres Lebens hinter sich (gut drei Monate).
Unsere großen Söhne (13 und 16) hatten in München die europäische Schule besucht und von der ersten Klasse an täglich eine Stunde Englischunterricht mit Muttersprachlern. Der 16-Jährige wurde die letzten Jahre auch in zwei Fächern auf englisch unterrichtet, und das auf einem sehr hohen Niveau. Er hatte daher keinerlei Probleme, sich hier in der Schule einzufinden und wurde gleich ein Jahr höher eingestuft.
Der 13-Jährige wurde auch gleich in Klasse sieben eingetuft, weil er sonst viel älter gewesen wäre als seine Mitschüler. Ihm fehlt noch einiges an Vokabular, aber er wurde von einem "English as a foreign language" Teacher getestet, und die Schule war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Er muss ein bisschen was nacharbeiten während der Ferien, z. B. Aufgabenstellungen im Mathe-Buch auf deutsch übersetzen um sich verdeutlichen, was von ihm verlangt wird.
Unser Kleinster (5) konnte gar kein englisch und die Primary School hier (Sorrento) hatte keine Möglichkeit, ihn individuell zu fördern. Sie haben daher vorgeschlagen, dass er Term 4 (pre-primary) an einem Intensive English Centre macht und im Februar dann in Klasse 1 an die Sorrento Primary kommt.
Anfangs hatte ich große Bedenken, weil in diesen Intensive English Centres viele Kinder von Flüchtlingen sind, die in ihren Herkunftsländern sehr Schlimmes durchgemacht haben und dann, nachdem sie es bis Australien geschafft hatten, hier interniert werden ohne Kontakte zur Außenwelt bis ihr Asylantrag positiv entschieden wird. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe in Deutschland ein halbes Jahr in einem Asylzentrum gearbeitet und Flüchtlinge aus unterschiedlichsten Ländern bei ihren ersten Schritten in Deutschland begleitet und unterstützt. Dann sind da noch Kinder von Migranten, in deren Familien kein englisch gesprochen wird (meist Asiaten). Es gibt kaum Europäer.
Ich habe alle meine Bedenken dem Direktor gegenüber in einem ausführlichen Gespräch angesprochen. Er sagte mir, dass die meisten Kinder bereits in Australien geboren wurden und die Traumata ihrer Eltern in deren Herkunftsländern nicht durchlebt hätten.
Wir beschlossen, einen Versuch zu wagen und haben es nicht bereut. Die Klassen sind klein (16 Schüler), es gibt mindestens zwei Lehrer in einer Klasse und die Kinder können individuell gefördert werden. Die ersten sechs Wochen fielen meinem Kleinen sehr schwer, er war wütend, weil er sich nicht verständigen konnte, weil er so lange von zu Hause fort war (er ist ca. 8 Stunden von zu Hause weg, mit Abholen und Bringen durch einen Taxibus), anfangs sogar noch eine Stunde länger, aber er war so durch den Wind, dass wir nach dem 2. Tag den Taxifahrer fragten, ob er seine Route nicht ändern könnte, was kein Problem war.
Wir hatten von Anfang an zu seiner Lehrerin ein sehr herzliches Verhältnis, ich durfte sie jederzeit nach der Schule zu Hause anrufen und musste oft auch Dinge übersetzen und nachfragen, weil er die Antwort gleich haben wollte und Bedenken hatte, wieder etwas nicht zu verstehen. Inzwischen darf ich öfter mal Zettel schreiben, weil er schon wesentlich mehr versteht und sich auch am Unterricht beteiligt. Seit gut einer Woche geht er gerne in die Schule, die Zeit vergeht schneller, er wacht morgens nicht mehr schreiend auf (er hatte wirklich Albträume und viele Ängste, aber das ist auch nicht verwunderlich, wenn ein 5-jähriges Kind alleine mit so einer unbekannten und befremdlichen Situation konfrontiert wird. In der Schule ist alles darauf ausgerichtet, den Kindern Sicherheit zu geben: im Klassenzimmer gibt es einen Sessel, in den sich die Kinder zurückziehen dürfen, wenn sie müde oder traurig sind, die Toiletten sind durch eine Schiebetür mit dem Klassenzimmer verbunden und vor allem haben sie eine Bezugsperson, die immer für sie da ist. Die anderen Kinder sind sehr lieb zu ihm und er hat schon Feunde gefunden.
Ich werde nach dieser schweren Eingewöhnungszeit unseren Kleinsten im Februar nicht an der Primary School hier anmelden sondern ihn noch ein Jahr im Intensive English Centre lassen. Er soll nicht schon wieder mit einer neuen unbekannten Situation konfrontiert werden. Seine Lehrerin meinte, danach könne er lesen und schreiben und sich verständigen und in die 2. Klasse eingeschult werden.
Aber: jedes Kind ist anders.
Aller Anfang ist schwer und alles braucht seine Zeit.
Zitkala